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Als ich neulich, am 21.Januar 2021 in der Stadt war, machte ich dieses Bild der Münsteruhr. Die Uhr zeigt 18.26 Uhr. Dabei habe ich mich gefragt, WIE SPÄT IST ES DENN WIRKLICH?

Heute daher die Frage: Wie spät war es denn wirklich? Wenn die Villinger Münsteruhr im Januar 18.26 Uhr anzeigt, was ist dann eigentlich die „richtige“ Uhrzeit. Und woher kommt das? Bei dieser Frage ist natürlich Michael Kopp gefordert. Und Michael hat uns ganz hervorragend Informiert: Er schreibt:

Die Villinger Münsteruhr zeigt die mitteleuropäische Zeit (MEZ). Die ist aber weit weg von der “richtigen Zeit”, weil sie eine soziale Übereinkunft ist, die in der 1890er Jahren auf Initiative von Sanford Flemming (https://de.wikipedia.org/wiki/Sandford_Fleming) zwischen den Staaten vereinbart wurde. Damals wurde die Erde in 24 Zeitzonen aufgeteilt und nach diesem System ist seither unser ganzer Flugverkehr, Eisenbahnverkehr und unser Zusammenleben organisiert. Obwohl einige Staaten aus diesem System ausscherten (u. a. Russland), funktioniert das Ganze bis heute sehr gut. Aber die MEZ ist für Villingen weit weg von der “richtigen” Zeit. Sie ist nur ein Konstrukt, um den Alltag zu organisieren.

Es gibt die mittlere Ortszeit (MOZ). Das muss man sich so vorstellen, dass es 12 Uhr Mittag in Villingen genau dann ist, wenn die Sonne in Villingen am höchsten steht (ein paar Sekunden später als in Schwenningen). Der Tag wird dann gleichmäßig in 24 Stunden mit je 60 Minuten und diese in je 60 Sekunden unterteilt. Eine genau gehende mechanische Uhr zeigt diese Zeit dann immer korrekt an. Aber die “richtige” Zeit ist sie dennoch nicht, denn die Erde dreht sich nicht so gleichmäßig wie eine mechanische Uhr abläuft. Da sie sich auf einer Ellipse bewegt und die Pole etwas abgeflacht sind, ist sie manchmal etwas schneller, manchmal etwas langsamer.

Diese Ungenauigkeiten werden in der “wahren Ortszeit” (WOZ) berücksichtigt. Sie ist die Zeit, die eine einfache, richtig konstruierte Sonnenuhr anzeigt. Nun könnte man, wen man den genauen Längengrad von Villingen weiß, die MEZ, die die Villinger Münsteruhr anzeigt, umrechnen auf die Mittlere Ortszeit (MOZ) von Villingen und dann mit “Äquationstabellen” (gab es früher in der Schifffahrt) umrechnen in die wahre Ortszeit (WOZ). Aber das ist halt immer noch nicht die “richtige” Zeit. Inzwischen wird die Sekunde nicht mehr nach astronomischen Berechnungen definiert, weil die zu ungenau sind, sondern nach der Frequenz des Cäsiumatoms. Aber schwingt das Cäsiumatom überall immer gleich? Warum werden auch die Sonnenstunden in 24 Teile geteilt? Warum nicht in 10, wie in der französischen Revolution, oder warum sind die Stunden tagsüber nicht länger oder kürzer als nachtsüber? (sog. italienische Stunden, gab es dort bis ins 19. Jahrhundert. Goethe hatte seine seine Schwierigkeiten damit in seiner “Italienischen Reise” als er in Verona war).

Gerne sei zu Michaels Ausführungen noch etwas angemerkt:


Unterhalb der Turmuhr ist eine Sonnenuhr und wer genau darauf achtet, der wird feststellen, dass die Sonnenuhr, ob Sommer oder Winter stets etwas anderes anzeigt, als die Turmuhr

warum ist das so?

Am 1. April 1893 wurde die „mitteleuropäische Zeit“ als Einheitszeit für das gesamte deutsche Reich festgelegt. Da der dafür maßgebliche 15. Längengrad Ost die Stadt Görlitz durchquert, spricht man in Deutschland seit der Einführung der MEZ auch von Görlitzer Zeit. Mit dem aufkommenden grenzüberschreitenden Verkehr wurden einheitliche Zugfahrpläne nötig. Bis zu diesem Zeitpunkt galt z.B. in Villingen die Karlsruher Zeit und in Schwenningen die Stuttgarter Zeit mit einem Unterschied von 3 Minuten.

Von G.Lambelet, gescant und hochgeladen von S.Wetzel (Gedanken zu Datumsgrenze, Null-Meridian und Zeitzonen) – J.H.Graf: Die Einführung der MEZ in der Schweiz, Bern 1894, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47874023

Woher kommt das?

Früher gab es nur die „Sonnenzeit“, d.h. es war dann 12 Uhr Mittags, wenn die Sonne am höchsten Punkt steht. Durch die Erdrotation ist das natürlich an jedem Ort der Erde zu einem anderen Zeitpunkt.

Da Stuttgart östlich von Karlsruhe liegt, ist die Sonne dort früher am höchsten Punkt, als eben in Karlsruhe. Es sind 0,71549° Länge Unterschied und dafür braucht Erde eben 2,9 Minuten… (360°/24 Stunden * 60 Minuten)

Und die Mitteleuropäische Zeit?

Um diese regionalen Unterschiede zu eliminieren, führte man in Mitteleuropa 1893 die MEZ ein. Basis war der 15. Längengrad Ost, der durch Görlitz führt. D.h. in Görlitz steht um 12.00 Uhr Mittags die Sonne am höchsten Punkt. Zu dem Zeitpunkt steht die Sonne in Villingen jedoch noch tiefer. Zwischen Görlitz und Villingen sind es 6,55° Längenunterschied, d.h. 26 Minuten (6,55/360*24*60).

Also es dauert 26 Minuten, bis die Sonne dann in Villingen am höchsten Punkt steht. Dann zeigt unsere Uhr am Münster jedoch bereits 12.26 Uhr an. Eigentlich, laut Sonne ist es jedoch erst 12 Uhr.

Fazit

Wenn also unsere Münsteruhr im Januar 18:26 Uhr anzeigt, dann ist es nach „Sonnenzeit“ erst 18.00 Uhr. Wer die Sonnenuhr am Münster betrachtet, der wird dann auch stets diese Differenz erkennen.
Im Sommer, wenn also auf Sommerzeit umgestellt ist, beträgt der Unterschied dann 1 Stunde und 26 Minuten.

MEZ

Die MEZ gilt übrigens von Polen bis Spanien. Dadurch gibt es gewaltige Schwankungen. In Byalistok in Ostpolen geht die Sonne schon um 8.00 Uhr auf und in Santiago de Compostela erst um 10.30 Uhr. Dafür geht die Sonne in Polen schon um 16 Uhr unter und in Santiago erst um 20 Uhr.

Von Rob984 – Diese Datei wurde von diesen Werken abgeleitet:Location European nation states.svg von maixTime zones of Europe.svg von maix, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=49541543

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9 Responses

  1. sehr spannend, vielen Dank, lieber Michel, für Deine Ausführungen! Und Dir, Gerhard, ebenfalls lieben Dank für diese interessante Denksportaufgabe – toll!

  2. sollte es in dieser Frage wirklich in Richtung zur Berücksichtigung der Zeitgleichung gehen?
    Dies wäre ja ein Tipp für alle anderen!
    Es bleibt spannend!

  3. Oh je Gerhard, das hast du mir aber ein Ei gelegt!!! Zumal schon viele hochintelligente Menschen sich Gedanken über die „richtige Zeit“ gemacht haben, von Augustinus über Albert Einstein zu Stephen Hawking und ……… ich sie alle nicht wirklich verstehe! Die Villinger Münsteruhr zeigt die mitteleuropäische Zeit (MEZ), wie Hans Martin schon gesagt hat. Die ist aber weit weg von der „richtigen Zeit“, weil sie eine soziale Übereinkunft ist, die in der 1890er Jahren auf Initiative von Sanford Flemming (https://de.wikipedia.org/wiki/Sandford_Fleming) zwischen den Staaten vereinbart wurde. Damals wurde die Erden in 24 Zeitzonen aufgeteilt und nach diesem System ist seither unser ganzer Flugverkehr, Eisenbahnverkehr und unser Zusammenleben organisiert. Obwohl einige Staaten aus diesem System ausscherten (u. a. Russland), funktioniert das Ganze bis heute sehr gut. Aber die MEZ ist für Villingen weit weg von der „richtigen“ Zeit. Sie ist nur ein Konstrukt, um den Alltag zu organisieren.

    Es gibt die mittlere Ortszeit (MOZ). Das muss man sich so vorstellen, dass es 12 Uhr mittag in Villingen ist, wenn die Sonne in Villingen am höchsten steht (ein paar Minuten später als in Schwenningen). Der Tag wird dann gleichmäßig in 24 Stunden mit je 60 Minuten und diese in je 60 Sekunden unterteilt. Eine genau gehende mechanische Uhr zeigt diese Zeit dann immer korrekt an. Aber die „richtige“ Zeit ist sie dennoch nicht, denn die Erde dreht sich nicht so gleichmäßig wie eine mechanische Uhr abläuft. Da sie sich auf einer Ellipse bewegt und die Pole etwas abgeflacht sind, ist sie manchmal etwas schneller, manchmal etwas langsamer.

    Diese Ungenauigkeiten werden in der „wahren Ortszeit“ (WOZ) berücksichtigt. Sie ist die Zeit, die eine einfache, richtig konstruierte Sonnenuhr anzeigt. Nun könnte man, wen man den genauen Längengrad von Villingen weiß, die MEZ, die die Villinger Münsteruhr anzeigt, umrechnen auf die Mittlere Ortszeit (MOZ) von Villingen und dann mit „Äquationstabellen“ (gab es früher in der Schifffahrt) umrechnen in die wahre Ortszeit (WOZ). Aber das ist halt immer noch nicht die „richtige“ Zeit. Inzwischen wird die Sekunde nicht mehr nach astronomischen Berechnungen definiert, weil die zu ungenau sind, sondern nach der Frequenz des Cäsiumatoms. Aber schwingt das Cäsiumatom überall immer gleich? Warum werden auch die Sonnenstunden in 24 Teile geteilt? Warum nicht in 10, wie in der französischen Revolution, oder warum sind die Stunden tagsüber nicht länger oder kürzer als nachtsüber? (sog. italienische Stunden, gab es dort bis ins 19. Jahrhundert. Goethe hatte seine seine Schwierigkeiten damit in seiner „Italienischen Reise“ als er in Verona war).

    Ich will Euch nicht länger mit meinen dilettantischen Gedanke zu diesem hochkomplexen Thema belästigen. Ich denke einfach die Zeit , die die Münsterturmuhr anzeigt „isch d’Ziit da mer z`Liat gooht“. Vielleicht geht ja jemanden von uns dazu ja noch ein Licht dazu auf?

  4. Ich muss mich korrigieren. Ich schätze die „richtige“ Zeit eine halbe Stunde früher, also auf 17:56 Uhr. Begründung: wenn es am 15. Längengrad 18:26 Uhr ist dann ist dort die MEZ = „richtige“ Zeit. In Villingen wird am Münster dann auch schon 18:26 Uhr angezeigt, obwohl es dort nach dem Sonnenstand noch nicht so weit ist.

    Ich unterstelle dabei, dass die Münsteruhr noch richtig geht, was man bei Schwenninger Uhren vielfach nicht mehr zutrifft. Selbst die Sonnenuhr auf dem Marktplatz geht „falsch“ (siehe obige Definition)

  5. Ja, was ist richtig, was ist falsch? Das ist hier die Frage.
    Offiziell gilt im Winter (auch in Villingen) die Mitteleuropäische Zeit. Das ist die „richtige“ Zeit am 15. Längengrad. Die „richtige“ Zeit am Villinger Münster wäre dann etwas später, denn nach der „richtigen“ Zeit ist immer dann 12 Uhr Mittag, wenn die Sonne am höchsten steht. Der Einheitlichkeit musste deshalb die Zeit definiert werden. So gab es auch einmal für Baden die Karlsruher Zeit und für Württemberg die Stuttgarter Zeit.
    Da das aber eine Schätzaufgabe ist, schätze ich mal die „richtige“ Villinger Zeit auf eine halbe Stunde später, also 18:56 Uhr.

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